Landnutzungswandel
Viele Insekten reagieren aufgrund ihrer
kurzen Lebenszyklen, ihrer geringen Mobilität, ihrer Unfähigkeit längere,
ungünstige Perioden in einem Dormanzzustand zu verbringen und vor allem aufgrund
der Begrenztheit ihrer spezifischen ökologischen Nischen sehr empfindlich auf
Umweltveränderungen (Bourn & Thomas
2002). Die Intensivierung der Landwirtschaft und der damit einhergehende
Lebensraumverlust für Schmetterlinge im vergangenen Jahrhundert kann als die
wichtigste Gefährdungsursache angesehen werden. Schmetterlinge haben sich jedoch
auch im Laufe der Jahrhunderte an die Landnutzung durch den Menschen angepasst
und sind von extensiven Formen der Landnutzung abhängig. So entstehen
Wiesenflächen, Heiden und Kahlschläge nur durch menschliche Nutzung und können
auch nur durch die Aufrechterhaltung dieser vor der natürlichen Sukzession, die
diese Flächen im Laufe der Jahre wieder in Wald verwandeln würde, bewahrt
werden. Zahlreiche essentiell wichtige Habitate für Schmetterlinge würden
verschwinden, würde die Landnutzung komplett aufgegeben. Seit dem 2. Weltkrieg
haben sich die Flächenanteile der Habitattypen sowie ihre Qualität gravierend
geändert. Während die Anteile landwirtschaftlicher Nutzflächen und Waldflächen
weitgehend konstant blieben, nahm der Anteil von Siedlungs- und Verkehrsflächen
zu. Dafür wurde bei allgemein als wertlos betrachtetem Öd- und Unland ein
Rückgang auf ein Fünftel der ehemaligen Fläche festgestellt (Bundesministerium
für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 1958,
Bundesministerium für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft 2004).
Offenland
Die erst durch die Nutzung des Menschen entstandenen Wiesen und Weiden sind in ihren Flächenanteilen seit Ende des 2. Weltkriegs in etwa gleich geblieben (s.o.), jedoch hat sich die Art und Weise sowie die Intensität der Nutzung seitdem sehr verändert. Seit dem 2. Weltkrieg ist ein starker Anstieg der Düngung landwirtschaftlicher Nutzflächen zu verzeichnen (Gatter 2000, Umweltbundesamt 2006). Nicht zu vernachlässigen sind außerdem die atmosphärischen Stickstoffdepositionen von ca. 30 kg/ha pro Jahr (Umweltbundesamt 2006). Durch die Zunahme der Düngung und das damit verbundene bessere Wachstum der Pflanzen konnten zwecks Ertragssteigerung ehemals extensiv bewirtschaftete ein- bis zweischürige Wiesen in Vielschnittwiesen und Weiden in Mähweiden umgewandelt werden. Die Klimaerwärmung trägt außerdem zu einer Verlängerung der Vegetationsperiode bei, sodass die Nutzung noch länger andauern und intensiver durchgeführt werden kann (Fartmann 2006).
Im Gegensatz dazu geht der Anteil von Grenzertragsstandorten wie Magerrasen und Heiden, die von Meliorationsmaßnahmen verschont wurden, stark zurück. Große Einbußen mussten außerdem Hutungen, ertragsarme Weiden und Streuwiesen hinnehmen (Fartmann 2006). Dies hängt vor allem mit dem Rückgang der finanziell nicht mehr lohnenswerten Ziegen- und Schafbeweidung zusammen. Bleibt diese aus, verbrachen die Flächen und fallen im Laufe der Zeit der natürlichen Sukzession zum Opfer (Fartmann 2006). Während ehemals auf trockeneren Standorten die Vegetation durch intensive Wanderschäferei kurzrasig und mager gehalten wurde, wurden feuchtere Lebensräume einmal jährlich im Spätsommer gemäht und das Mahdgut als Einstreu für eine Stallhaltung von Weidevieh im Winter verwendet (Härdtle et al. 2004). Heutzutage wird eine extensive Wanderschäferei durch Subventionen aufrecht erhalten. Diese ist jedoch in ihrer Intensität keineswegs mit der früheren vergleichbar und führt daher meist zu einer längergrasigen, leicht verfilzten Vegetationsstruktur. Extrem kurzrasige und lückige Halbtrockenrasen, die essentielle Bedingung für das Vorkommen zahlreicher stark rückläufiger Arten sind, verschwinden aus dem heutigen Landschaftsbild.
Bei genauerer Betrachtung der Zusammensetzung des Dauergrünlandes fällt außerdem auf, dass der Anteil der Wiesen zurück gegangen ist; an deren Stelle traten vermehrt Weiden, deren Nutzung als intensive Dauerweiden ökologisch wenig wertvoll ist (Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 1958, Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft 2004, Fartmann 2006).
Wald
Die älteste Form der Waldnutzung war die Waldhude oder -weide, die in Mitteleuropa bereits seit der Jungsteinzeit betrieben wurde und bis zum 18. Jahrhundert andauerte (Härdtle et al. 2004). Sie stellte eine wesentliche Existenzgrundlage der Bauern dar und diente der Ernährung der Haustiere, meist Schweinen oder Rindern. Dazu wurden die Tiere entweder ganzjährig oder während des Sommers in die Wälder getrieben. Durch den Verbiss entsteht auf lange Sicht eine parkartige Landschaft, da dieser die natürliche Verjüngung des Waldes verhindert (Weber 1986, Pott 1988). In derart offenen Waldlandschaften finden vor allem Licht liebende Arten der Krautschicht gute Wuchsbedingungen (Speier 1994). Durch den dynamischen Wandel durch Verbiss entsteht ein Struktur- und Vegetationsmosaik aus Triftrasen, Staudensäumen, Waldresten und Gebüschzonen (Härdtle et al. 2004).
Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts wurde der Wald meist in Form von Niederwäldern bewirtschaftet. Hierbei verjüngen sich die Bäume nicht über Sämlinge, sondern über Stockausschlag (Härdtle et al. 2004). Diese Art der Waldnutzung diente anfänglich vor allem der Brennholzgewinnung. Flächenhaft angewandt kommt sie einer schlagweisen Kahlschlagwirtschaft mit kurzer Umtriebszeit gleich (Härdtle et al. 2004). Da die Niederwaldnutzung ausschließlich Schwachholz lieferte, ging man seit dem Mittelalter auch dazu über, einzelne Bäume als „Überhälter“ aus der Nutzung heraus zu nehmen, um sie etwa für den Häuser- oder Schiffsbau nutzen zu können (Härdtle et al. 2004). Hieraus entwickelte sich die so genannte Mittelwaldnutzung. Sowohl Nieder- als auch Mittelwaldnutzung begünstigen eine abwechslungsreiche und offene Waldstruktur, die Lebensraum für zahlreiche Licht liebende Waldarten bieten (Treiber 2003).
In der modernen Forstwirtschaft ist die Hochwaldnutzung die mit Abstand häufigste Betriebsart, da sie rentabler ist und mehr Wertholz liefert (Härdtle et al. 2004). Hierzu ist vor allem die so genannte Plenterwaldwirtschaft zu rechnen. Hierbei kommt es durch Einzelstammentnahme zu stufig aufgebauten Wäldern mit Bäumen aller Altersklassen nebeneinander (Härdtle et al. 2004). Großflächige Kahlschläge wurden aufgrund ökologischer Gesichtspunkte unter anderem in Deutschland verboten, da sie dem Bilde einer naturnahen Waldwirtschaft widersprechen (Johann 1992, Heiß 1994).
Also hat sich, trotz fast gleich bleibender Waldanteile, die Bewirtschaftungsform der Wälder erheblich (auf Kosten zahlreicher Tier- und Pflanzenarten) geändert. Traditionelle Waldbewirtschaftungsformen wie Nieder- und Mittelwaldwirtschaft oder Waldhude wurden weitgehend eingestellt. An ihre Stelle trat die Umwandlung in geschlossene Hochwälder mit langen Umtriebszeiten (Fartmann 2006). Diese dunklen Wälder zeichnen sich trotz der Klimaerwärmung durch ein kühleres Bestandesklima während der Vegetationsperiode und milderes Klima während des Winters aus, die Temperaturextreme sind also deutlich abgemildert (Gatter 2000). Dies führt zu einer Atlantisierung des Waldklimas. Da größere Kahlschläge gesetzlich verboten sind (s. o.) und Brände in neuerer Zeit wegen der nahezu perfekten Feuerbekämpfung keine Rolle mehr spielen, entstehen Störstellen in Wäldern nur noch unregelmäßig durch Stürme wie „Wiebke“ im Jahr 1990 oder „Lothar“ im Jahr 1999 (Gatter 2000, Fartmann 2006). Zahlreiche Schmetterlingsarten sind jedoch gerade von lichten Wäldern und größeren Offenstellen innerhalb des Waldes abhängig und werden durch die aktuelle Bewirtschaftungsform an den Rand des Aussterbens in Deutschland gebracht. Hierzu zählen etwa das Wald-Wiesenvögelchen (Coenonympha hero), der Eschen-Scheckenfalter (Euphydryas maturna), der Gelbringfalter (Lopinga achine), der Braune Eichen-Zipfelfalter (Satyrium ilicis) oder das Platterbsen-Widderchen (Zygaena osterodensis) (Warren & Thomas 1992, Thust et al. 2001, Treiber 2003). Auf die durchaus wichtige und positive ökologische Bedeutung von Kahlschlägen und die negativen Folgen der Hochwaldnutzung soll in der Diskussion nochmals genauer eingegangen werden.
Quellen für diese Seite:
Bourn, N. A. D. & J. A. Thomas (2002): The challenge of conserving grassland insects at the margins of their range in Europe. – Biological Conservation 104: 285–292.
Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (1958): Statistisches Jahrbuch über Ernährung, Landwirtschaft und Forsten der Bundesrepublik Deutschland 1957. – Paul Parey, Hamburg und Berlin.
Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (2004): Statistisches Jahrbuch über Ernährung, Landwirtschaft und Forsten der Bundesrepublik Deutschland. – Landwirtschaftsverlag, Münster.
Fartmann, T. (2006): Welche Rolle spielen Störungen für Tagfalter und Widderchen? – In: Fartmann, T. & G. Hermann (Hrsg.): Larvalökologie von Tagfaltern und Widderchen in Mitteleuropa. – Abhandlungen aus dem Westfälischen Museum für Naturkunde 68 (3/4): 259–270.
Gatter, W. (2000): Vogelzug und Vogelbestände in Mitteleuropa. 30 Jahre Beobachtung des Tagzugs am Randecker Maar. – Aula Verlag, Wiebelsheim.
Härdtle, W., Ewald, J. & N. Hölzel (2004): Wälder des Tieflandes und der Mittelgebirge. - Ulmer-Verlag (Stuttgart), 252 S.
Heiss, G. (1994): Naturschutz und Forstwirtschaft im europäischen Wald. - Bericht WWF Österreich 1-48.
Johann, E. (1992): Forstwirtschaft im Gegensatz zu Naturschutz? - Österr. Forst Z. Wien 103/12: 15-18.
Pott, R. (1988): Entstehung von Vegetationstypen und Pflanzengesellschaften unter dem Einfluss des Menschen. - Düsseldorfer Geobotanisches Kolloquium 5: 27-54.
Speier, M. (1994): Vegetationskundliche und paläo-ökologische Untersuchungen zur Rekonstruktion prähistorischer und historischer Landnutzungen im südlichen Rothaargebirge. - Abhandlungen des Westfälischen Museums für Naturkunde 56: 1-174.
Thust, R., Thiele, A. & K. Göhl (2001): Das Wald-Wiesenvögelchen (Coenonympha hero) (Linnaeus, 1761: Lepidoptera, Nymphalidae) in Thüringen – ein Nachruf und ein Lehrstück. – Natur und Landschaft 76 (12): 542-546.
Treiber, R. (2003): Genutzte Mittelwälder – Zentren der Artenvielfalt für Tagfalter und Widderchen im Südelsass. – Naturschutz und Landschaftsplanung 35 (1): 50-63.
UBA /
Umweltbundesamt (2006): Künftige Klimaänderungen in Deutschland –
Regionale Projektionen für das 21. Jahrhundert. – Online unter
http://www.umweltbundesamt.de/uba-info-presse/
hintergrund/Klimaaenderungsworkshop.pdf
Warren, M. S. & J. A. Thomas (1992): Butterfly responses to coppicing. - In: Buckley, G. P. (ed.): Ecology and management of coppice woodlands. Chapman & Hall, London: 249-270.
Weber, H. E. (1986): Waldumwandlung durch Beweidung in Niedersachsen. - Natur und Landschaft 61: 330-333.