Milos 2021
(dieser Bericht ist in ähnlicher Form in der elaphe 2023 (1) veröffentlicht)
Die in der Ägäis liegende Insel Milos bildet zusammen mit weiteren, umgebenden Inseln die Kykladen-Inselgruppe, die südöstlich des Peloponnes im Mittelmeer gelegen ist. Mit 160 km2 Fläche und knapp 5.000 Einwohnern ist Milos recht dicht besiedelt. Vor allem im Norden um die Dörfer Adamas und Apollonia wohnen die meisten Menschen und finden sich auch die meisten Touristen, während der Südwesten der Insel fast menschenleer ist. Das vulkanische Gestein ist meist von niedrigwüchsigen Stauden und Sträuchern bewachsen, Bäume finden sich nur ausnahmsweise. Charakteristisch sind die zahlreichen Bachtäler, in denen eine etwas artenreichere und an feuchtere Standorte angepasste Vegetation zu finden ist, wie z. B. die charakteristischen Oleanderbüsche.
Der Grund für unsere Reise im Oktober 2021 zu dieser kleinen Insel war eine Giftschlange, die nur auf dieser und drei weiteren Inseln (Sifnos, Kimolos, Polyegos) in der näheren Umgebung vorkommt - die Milosotter (Macrovipera schweizeri). Mit der Milos-Mauereidechse (Podarcis milensis) hat die Insel noch eine zweite endemische Art zu bieten. Eine weitere Besonderheit stellt die Unterart der Ringelnatter Natrix natrix schweizeri dar. Aufgrund der Insellage und der Wasserarmut auf Milos ist die indigene Herpetofauna deutlich eingeschränkt. Unter den Amphibien sind nur Wasserfrösche der Gattung Pelophylax nachgewiesen, die evtl. eine eigene Art darstellen könnten. Geckos sind mit zwei Arten, Europäischer Halbfinger (Hemidactylus turcicus) und Ägäischer Nacktfinger (Mediodactylus kotschyi) vertreten, Eidechsen ebenfalls mit zwei Arten. Neben der Milos-Mauereidechse findet sich eine Unterart der Riesen-Smaragdeidechse Lacerta trilineata hansschweizeri. Unter den Skinken ist die unscheinbare Johannisechse (Ablepharus kitaibelii) weit verbreitet. Die Schlangen stellen neben Milosotter und Ringelnatter mit der Katzennatter (Telescopus fallax) insgesamt drei Arten. Die Kaspische Bachschildkröte (Mauremys rivulata) gehört aufgrund des Wassermangels zu den seltensten Reptilienarten der Insel. Funde von Landschildkröten (Testudo hermanni und T. marginata) sind wohl ausschließlich auf entkommene Terrarientiere zurückzuführen.
Die Kykladen-Insel Milos ist nicht nur wegen ihrer einzigartigen Reptilienfauna eine Reise wert. Hier ein Blick auf den Küstenort Adamas.
1. Tag - Orientierungsphase
Aufgrund der bereits vorhandenen Erfahrungen befreundeter Herpetologen und der Übersichtlichkeit der Insel gingen wir davon aus, dass wir unsere wichtigste Zielart - die Milosotter - relativ schnell auffinden würden. Nach anstrengendem Anreisetag mit mehrstündigem Aufenthalt am Flughafen von Athen (Direktflüge von Deutschland aus existieren nicht) waren wir am folgenden Morgen erst gegen 8:30 Uhr im potenziellen Lebensraum der Milosotter, was sich angesichts der bereits stark erwärmenden Sonne fast als zu spät herausstellte. Wir kämpften uns am Morgen einen Bachtobel hinauf, der größtenteils von dichtem und vor allem stacheligem Macchiagebüsch bewachsen war. Außer einem verdächtigen Kriechgeräusch war nichts von den erhofften Milosottern zu sehen, allein einige Milos-Mauereidechsen kreuzten unseren Weg. Als wir die Suche im Bachtobel beendet hatten, war es bereits 12 Uhr mittags und die Sonne strahlte unerbittlich bei einer Lufttemperatur um die 25 °C auf uns herab - die Chance auf einen Vipernfund war nun gleich Null. Also besuchten wir solange einen der zu dieser Jahreszeit menschenleeren Strände und zogen am Nachmittag bis zum Sonnenuntergang nochmals los. Entlang von beweideten und ackerbaulich genutztem Offenland direkt an der Küste fanden wir in begrenzenden Steinmauern zwei Häute der Milosotter - ein erst Hinweis, dass die Art hier tatsächlich vorkommt. Wir suchten bis zum Sonnenuntergang, fanden aber nur die sich in der Abendsonne zahlreich labenden Ägäischen Nacktfinger und eine Johannisechse. Während es in der Sonne fast noch zu warm war, schienen die bereits beschatteten Bereiche schnell zu kalt. Nach diesem langen ersten Tag stärkten wir uns in einem Restaurant mit köstlichen griechischen Spezialitäten am Rande von Adamas, um danach bei Dunkelheit nochmals loszuziehen. Entlang der Steinmauern, an denen wir die Häute gefunden hatten, und im umgebenden Kulturland war leider jedoch "tote Hose", auch an Insekten oder Spinnentieren war fast nichts unterwegs. Also liefen wir noch etwas die Straße entlang. Während unseres etwa zweistündigen Aufenthalts wurden wir nur von einem einzigen Auto überholt. Blöd nur, dass es dieses eine Auto offenbar schaffte, den ersten Halbfingergecko, den wir sahen, zu überfahren und zu allem Überdruss auch noch unsere erste juvenile Milosotter! Die Katzennatter in der angrenzenden Böschung hatte sich glücklicherweise von der Straße ferngehalten. So fand unser erster Orientierungstag doch noch einen artenreichen Abschluss, wenn sich auch die Arten großteils in einem anderen Zustand präsentierten, als wir uns das gewünscht hatten.
Blick auf die Küstenbereiche im zentralen Teil der Insel, die auch Lebensraum der Milosotter (Macrovipera schweizeri) sind.
In dieser Lesesteinmauer erhielten wir den ersten Hinweis auf ein Vorkommen der Milosotter, eine Haut.
Ein Jungtier der Milos-Mauereidechse (Podarcis milensis) sonnt sich in der Morgensonne.
In der Abendsonne suchten wir Lesesteinmauern und lichte Olivenhaine ab und fanden...
...eine Larve der Fangschrecke Empusa fasciata.
...dieses hübsch gefärbte Männchen der Milos-Mauereidechse.
...und die Johannisechse (Abplepharus kitaibelii), die sich in einem herum liegenden Autoreifen sonnte.
Dieser Ägäische Nacktfinger (Mediodactylus kotschyi) lauerte am Abend an einer Straßenlaterne auf Futter.
An einer Straßenböschung war eine adulte Katzennatter (Telescopus fallax) auf der Suche nach Nahrung.
Portrait der Katzennatter, die Schutz unter unserem Rucksack gesucht hatte.
Einige Sekunden zu spät: Frisch überfahrenes Jungtier der Milosotter.
2. Tag - Erste Lebendfunde
Am kommenden Morgen waren wir pünktlich zum Sonnenaufgang in einem uns sehr geeignet erscheinenden Lebensraum mit zahlreichen Lesesteinmauern und lückiger Macchiavegetation. Wir suchten erst entlang der Mauern, doch bis auf zahlreiche Ägäische Nacktfinger, Milos-Mauereidechsen und eine Haut, die wahrscheinlich zu einer Katzennatter gehörte, konnten wir nichts entdecken. Etwas demotiviert liefen langsam zurück zum Auto, bis auf einmal direkt vor uns eine adulte Milosotter lag und sich in der Morgensonne aufwärmte, Volltreffer! Nach längerem Fotoshooting zogen wir erleichtert weiter und erkundeten den Westen der Insel. Nach einer Erfrischung im bereits recht kühlen Mittelmeer an einem traumhaft gelegenen, komplett menschenleeren Sandstrand wanderten wir einen der zahlreichen Bachtobel entlang, die uns als bevorzugte Habitate der Milosotter beschrieben wurden. Und tatsächlich, obwohl die Temperaturen in der Mittagshitze 25 °C erreicht hatten, lagen zwei Individuen im Schatten in typischer Pose an Steine gepresst lauernd im Bachtobel direkt nebeneinander, was für ein Anblick! Die Tiere ließen sich von uns und unseren Kameras kaum stören und blieben liegen, bis wir voller Motivation weiter zogen. Trotz intensiver Suche konnten wir jedoch im weiteren Verlauf des Bachtobels nur noch eine Haut der Milosotter finden. Felsige Kaskaden mit atemberaubender Kulisse zwangen uns schlussendlich zur Umkehr. Natürlich schauten wir auch auf dem Rückweg, ob die beiden Vipern noch an Ort und Stelle waren, dem war jedoch nicht so, der Bereich sah so aus, als ob dort niemals eine Milosotter gelegen habe. Am Abend suchten wir bei Dunkelheit nochmals im Bereich der Legesteinmauern, weil wir uns hier noch den ein oder anderen Fund versprachen. Bis auf einige Geckos und eine große Tarantel war hier aber nichts zu holen, es hatte im Vergleich zum vergangenen Abend auch deutlich abgekühlt.
Unser erster Lebendfund, eine sich sonnende Milosotter im lückigen Macchiagelände.
Aufsicht auf das sich am Morgen sonnende Exemplar in situ.
Seitenansicht des ersten Exemplars der Milosotter.
Einsame Strände und Buchten im Westen der Insel laden zum Verweilen ein.
An den Sandstränden war dieser Sandlaufkäfer, evtl. Cicindela littoralis, zahlreich anzutreffen.
Überraschung in der Mittagssonne - zwei im Schatten lauernde Exemplare der Milosotter.
Blick auf das größere Exemplar der beiden lauernden Milosotter mit dem halbschattigen Bachtobel im Hintergrund.
Detailaufnahme des im Schatten auf Beute lauernden Exemplars der Milosotter.
Nachts aktives Jungtier des Ägäischen Nacktfingers.
3. Tag - Bachtobel
Nach den schönen Begegnungen des Vortags fuhren wir gleich am frühen Morgen in den Westen der Insel und stiegen in einen tief eingeschnittenen Bachtobel ein, der an einem Sandstrand ins Meer mündete. Bereits nach kurzer Zeit zogen dunkle Wolken auf, ein Gewitter kündigte sich an. Trotz fehlender Sonne und sinkender Temperaturen wollten wir unser Glück versuchen und drangen tiefer in den Tobel vor. Mehrere tote Ziegen säumten unseren Weg, woran die Tiere verendet waren, blieb uns ein Rätsel. Die Wolkendecke wurde immer dichter und erste Regentropfen fielen. Wir glaubten schon nicht mehr an einen Fund, als plötzlich direkt neben uns eine riesige, grau gefärbte Milosotter lauernd in einem niedrigen Strauch lag. Auch dieses Tier, das wir aufgrund seines urtümlichen Aussehens und seiner stoischen Art "Steinviper" tauften, blieb sehr lange liegen, bis es sich letzten Endes schnell davon machte, als wir einige Meter von ihm Abstand genommen hatten. Erst jetzt war die beträchtliche Größe dieses Individuums richtig zu erkennen, es maß in jedem Fall 80 cm, vielleicht auch mehr. Das Donnergrollen und erste Blitze waren jetzt nicht mehr zu ignorieren und wir beschlossen, schnellstmöglich den Rückweg zum Auto anzutreten. Also liefen wir den Bachtobel hinauf und wären fast in eine auf einem Ast lauernde Milosotter hineingelaufen! Auch dieses Tier verharrte einige Zeit bewegungslos, sodass wir gute Fotos schießen konnten. Wir erreichten unser Auto gerade noch rechtzeitig, bevor der Regen auf uns niederprasselte. Wir beschlossen zurück nach Adamas zu fahren und unser Glück am Nachmittag nach dem Regen nochmals zu versuchen. Wir erhofften uns sehr viel von dem Zeitfenster nach dem Regen, wenn die Tiere die Sonne zum Aufwärmen nutzen. Unsere Hoffnung wurde zunächst bestätigt, denn bereits nach wenigen Metern konnten wir eine weitere Milosotter beobachten, die sich allerdings schnell zurückzog. Leider brannte die Sonne bereits nach kurzer Zeit wieder erbarmungslos auf uns herunter und unsere Hoffnung schwand. Zurecht wie sich herausstellen sollte, denn die Suche im Bachtobel ergab keine weiteren Funde. Wir blieben bis zur Dunkelheit vor und vertrieben uns die Zeit am menschenleeren Strand, denn wir wollten den Tobel auch in den Abendstunden absuchen. Das Ergebnis war allerdings eher etwas enttäuschend, zwar fanden wir eine aktive Milosotter und mehrere Halbfingergeckos, aber wir hatten uns mehr erhofft. Allerdings waren wir auch nur etwas mehr als eine Stunde bei Dunkelheit direkt nach der Dämmerung unterwegs. Würde man zu dieser Zeit noch länger suchen, wären weitere Funde wahrscheinlich.
Diese Bachtobel, die auch von Ziegen zur Wasser- und Nahrungsaufnahme besucht werden, sind bevorzugte Lebensräume der Milosotter.
Immer wieder stießen wir bei unseren Exkursionen auf tote Ziegen, woran diese gestorben waren, konnten wir nicht herausfinden.
Fast unsichtbar im niedrigen Strauchwerk lauerte diese knapp 1 m lange Milosotter, die von uns "Steinviper" getauft wurde.
Der von uns vergebene Name ist Programm bei diesem regungslos ausharrenden Exemplar.
Aufsicht auf den Kopf der "Steinviper".
Fundort der "Steinviper" im Randbereich eines Bachtobels.
Überraschung auf dem Weg zurück zum Auto, eine auf einem Ast auf Vögel lauernde Milosotter.
Portrait der auf dem Ast lauernden Milosotter mit charakteristischer Zeichnung.
Am Abend im Bachtobel unterwegs - der Europäische Halbfinger (Hemidactylus turcicus).
Bei Nacht aktive Milosotter im Bachtobel.
4. Tag Wetterkapriolen und unerwartete Funde
Eigentlich waren wir nach den ersten drei Tagen bereits vollkommen zufrieden mit unserer Ausbeute, aber wir hatten noch einen weiteren Tag für die Suche, den wir entsprechend nutzen wollten. Am frühen Morgen suchten wir im Bereich eines Sees, von dem es ebenfalls Nachweise der Milosotter gibt und an dem wir uns Hoffnung auf die Milos-Ringelnatter machten. Leider erbrachte die Suche nur zahlreiche Milos-Mauereidechsen, Ägäische Nacktfinger und den Panzer einer Griechischen Landschildkröte. Wieder zog ein Unwetter auf, es begann zu regnen und zu stürmen, sodass wir Zeit hatten, mit dem Auto den Osten und Süden der Insel zu erkunden. Gegen Mittag setzte sich die Sonne durch und es zog uns nochmals in den Westen der Insel, wo noch viele unerkundete Bachtobel auf uns warteten. Leider wehte stetig ein recht starker, böiger Wind, der uns eine erfolgreiche Schlangensuche fast unmöglich machte. Folgerichtig blieben wir in einem ziemlich offenen Bachtobel mit Ausnahme weniger Milos-Mauereidechsen erfolglos. Auf unserer Rückfahrt machten wir noch kurz Halt in einem stark von Bäumen überschirmten Bachtobel, der etwas windberuhigter schien. Wir rechneten nicht wirklich mit Funden, aber plötzlich lagen wieder zwei Milosottern direkt nebeneinander im ausgetrockneten Bachbett. Das eine Tier lag etwas komisch da und konnte auch nicht richtig flüchten, als wir näher kamen. Als wir etwa eine Stunde später nachschauten, war es bereits tot. In seiner Kloake steckte ein schwarzer Klumpen, sodass wir annehmen, dass es wahrscheinlich an einem Darmverschluss gestorben ist. Es war auch erstaunlich, dass wir nun bereits zum zweiten Mal zwei Individuen direkt nebeneinander gefunden hatten. Den Abend ließen wir bei einem leckeren Essen ausklingen und verzichteten aufgrund der bisherigen Funde auf eine weitere Nachtsuche. Bereits am nächsten Morgen ging unser Flug über Athen zurück nach München. Der Kurztrip war für uns ein voller Erfolg, insgesamt zehn Milosottern in vier vollen Suchtagen waren aus unserer Sicht eine ganz gute Quote. Verpasst haben wir dennoch einige der auf Milos lebenden Reptilien- und Amphibienarten, so die Milos-Ringelnatter, die Riesen-Smaragdeidechse, die Kaspische Bachschildkröte und die Wasserfrösche.
Sich sonnende Milos-Mauereidechse im offenen Gelände im Bereich des Sees.
Sich in charakteristischer Pose sonnender Ägäischer Nacktfinger, immer bereit, sofort zu fliehen.
Sich sonnendes Männchen der Milos-Mauereidechse.
Und sich sonnendes Weibchen der Milos-Mauereidechse.
Panzer der auf Milos ursprünglich nicht heimischen Griechischen Landschildkröte (Testudo hermanni).
Eine kleine Kapelle im typischen Stil auf Milos.
Von höheren Bäumen gesäumter Bachtobel im Westen der Insel.
Halbschattiger Bachtobel als typisches Habitat der Milosotter.
Unter einem Stein ruhende Milosotter im Bachtobel.
Die Vipera lebetina-Bar in Adamas hatte bei unserem Besuch auf Milos leider geschlossen.
Artenliste
Deutscher Name |
Wiss. Name |
Unterart | Anzahl |
Griechische Landschildkröte |
Testudo hermanni |
1 | |
Ägäischer Nacktfinger |
Mediodactylus kotschyi |
50 | |
Europäischer Halbfinger |
Hemidactylus turcicus |
5 | |
Milos-Mauereidechse |
Podarcis milensis |
300 | |
Johannisechse |
Ablepharus kitaibelii |
1 | |
Katzennatter |
Telescopus fallax |
1 | |
Milosotter |
Macrovipera schweizeri |
10 | |
Summe |
7 |