Schutzmaßnahmen
Analog zum Kapitel Gefährdung sollen an dieser Stelle stichpunktartig die wichtigsten Schutzmaßnahmen zur Förderung der heimischen Biodiversität aufgeführt werden. Die Umsetzung aller dieser Maßnahmen ist aufgrund der unterschiedlichen Interessen verschiedener Gruppierungen (z. B. Landwirtschaft, Forst, Automobilindustrie usw.) wenig realistisch. Allerdings dürfte mittlerweile den meisten klar sein, dass sich aus Klima-, Umwelt-, Arten- und Naturschutzgründen einige Dinge ändern müssen und diese auch von der Europäischen Union (EU) gefordert werden. Als den Naturschutz betreffende Beispiele können hierfür etwa die Pflichten zur Umsetzung der Natura2000- und Vogelschutzrichtlinie, die neue Düngemittelverordnung oder das Biodiversitätsstärkungs-Gesetz des Landes Baden-Württemberg gelten. Allein an der praktischen Umsetzung dieser Vorgaben mangelt es häufig, da hinter den einzelnen Sektoren meist eine mächtige Lobby steht, die sich ungeachtet anderer Belange ausschließlich für ihre Interessen einsetzt. Beispielhaft sei hier die weitgehende Weigerung der Landwirtschaft genannt, sich an der von der EU geforderten Überwachung, Förderung und Wiederherstellung des FFH-Lebensraumtyps 6510 "Magere Flachland-Mähwiesen" (sog. FFH-Mähwiesen) zu beteiligen.
1. Landwirtschaftliche Intensivierung
Auf übergeordneter Ebene:
Änderung der EU-Agrarförderung mit gezielter Unterstützung ökologisch wirtschaftender, kleinerer Betriebe (kein Gießkannenprinzip)
Verzicht auf ständiges Wachstum und Steigerung der Produktivität auf Kosten des Tierwohls und der Landwirte selbst (Preisverfall durch Überproduktion)
Reduktion der Ausbringung von Pestiziden (Pflanzenschutzmittel und Insektizide), Verbot von Neonicotinoiden
deutliche Reduktion der Ausbringung von Flüssiggülle und Gärresten (steht in direktem Zusammenhang mit intensiver Tierhaltung, v. a. von Rindern)
Förderung mehrjähriger Acker- und Buntbrachen für den Feldvogelschutz durch Integration in die Förderinstrumente
verstärkte Förderung der Weidetierhaltung (z. B. Schaf- und Ziegenhaltung) durch Erhöhung der Fördersätze
Etablierung von Wertschöpfungsketten zur Förderung extensiver Nutzung
Auf Umsetzungsebene:
Erwerb naturverträglich produzierter Lebensmittel mit entsprechenden Biosiegeln (z. B. Demeter, Bioland, Heumilch-Produkte)
Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zu Pufferstreifen an Gewässern, verpflichtende Einführung von Randstreifen an Ackerrändern
Zulassen kleinflächiger Vernässungsstellen innerhalb von Äckern und Grünland, keine Verfüllung (Oberbodenauftrag)
Verkleinerung der Acker- und Grünlandschläge
alternierende Nutzung von Grünland mit Belassen von überständiger Vegetation und jungen Brachen, Reduzierung der Schnittzahl
2. Nutzungsaufgabe von Grenzertragsstandorten
Auf übergeordneter Ebene:
Änderung der rechtlichen Grundlagen zur Rücknahme von Aufforstungen und Wald auf naturschutzfachlich ehemals bedeutsamen Flächen (Änderung des Waldgesetzes)
Auf Umsetzungsebene:
Wiederaufnahme extensiver Nutzung auf Grenzertragsstandorten, etwa über Förderung durch die Landschaftspflegerichtlinie (LPR)
deutliche Intensivierung der Gehölzpflege zur Öffnung bereits in Sukzession befindlicher oder verwaldeter Offenlandstandorte
deutliche Intensivierung der Heckenpflege mit dem Ziel der Schaffung lückiger und niedrigwüchsiger Niederhecken, offener Steinriegel und junger Magerbrachen
deutliche Rücknahme der allgemeinen Gehölzdeckung in unserer Landschaft, z. B. durch Entfernung von zerschneidenden und beschattenden Gehölzreihen entlang von Gewässern, an Böschungen und Wegrainen
regelmäßige Freistellung von Felsköpfen und Steppenheiden
Aufrechterhaltung extensiver Mahdnutzung (mit Abräumen) von Streuobstwiesen, dabei keine zu dichte (Nach-)Pflanzung von Obstbäumen und Pflege der Bäume
3. Eutrophierung
Auf übergeordneter Ebene:
Einführung gesetzlicher Pflichten zur Einhaltung von Mindestabständen bei der Düngung von nährstoffempfindlichen Lebensräumen (z. B. Niedermoore)
deutliche Reduktion atmosphärischer Nährstoffeinträge durch Extensivierung der Tierhaltung und Verringerung des Verkehrsaufkommens
Auf Umsetzungsebene:
Oberbodenabtrag durch Entfernung der nährstofftragenden, oberen Bodenschichten zur Wiederherstellung magerer Offenlandlebensräume
Einführung und generelle Akzeptanz jahreszeitlich früher Mahd- und Beweidungszeitpunkte (auf Teilflächen) zum effektiven Entzug von Nährstoffen
4. Veränderte Waldbewirtschaftung
Auf Umsetzungsebene:
Wiedereinführung historischer Waldnutzungsformen wie Waldweide, Nieder- und Mittelwaldbewirtschaftung
Wiedereinführung der Kahlschlagsnutzung, auch mit Kahlhieben > 1 ha Fläche
Nährstoffentzug in Wäldern und Lichtungen (z. B. Kahlhiebe, Sturmwürfe) durch Entnahme des Kronenmaterials, Schwachholzes und Reisigs (Verzicht auf Belassen auf der Fläche!)
Verzicht auf Aufforstung und Nutzungsauflassung von Offenflächen (z. B. Waldwiesen) innerhalb von Wäldern
Anlage breiter, sporadisch genutzter Waldwegränder
Entwicklung breiter und strukturreicher Waldaußenränder durch regelmäßige Entnahme von Gehölzen im Waldbereich
Zulassung von "Katastrophenereignissen" wie Bränden, Borkenkäfer-Kalamitäten und natürlicherweise hohen Wildbeständen in Bannwäldern und Prozessschutzflächen
Verzicht auf Ausweisung von Waldrefugien und Habitatbaumgruppen in lichten Waldbereichen
Zulassen periodisch entstehender Fahrspuren auf Rückegassen und Lichtungen für die Gelbbauchunke (Bombina variegata); Verzicht auf Verfüllen der Spuren
5. Klimawandel
Auf übergeordneter Ebene:
Drastische Reduktion des CO2-Ausstoßes durch Reduzierung des allgemeinen Verkehrsaufkommens, intensiver Landwirtschaft und der Emissionen aus der Industrie
Schaffung rechtlicher Grundlagen zur Extensivierung der landwirtschaftlichen Nutzung auf Moorstandorten, ggf. Wiedervernässung
Auf Umsetzungsebene:
dosierte Wiedervernässung von Hoch- und Übergangsmooren unter Rücksichtnahme auf die vorkommenden Arten und umgebende Lebensräume (z. B. gemähte Niedermoore)
bei nicht mehr vernässbaren Hoch- und Übergangsmooren regelmäßige Gehölzpflege und ggf. kleinflächiger Oberbodenabtrag zur Förderung der charakteristischen Flora und Fauna von Heidehochmooren und zur Verhinderung weiterer Verdunstung über die Gehölze
6. Siedlungs- und Straßenbau
Auf übergeordneter Ebene:
deutliche Reduktion des Siedlungs- und Straßenbaus, vor allem von flächigen Gewerbegebieten im Außenbereich
ersatzloses Streichen des Bauparagrafen 13b
Auf Umsetzungsebene:
Wiedervernetzung durch größere und viel befahrene Straßen getrennter Lebensräume mittels Grünbrücken und Amphibienleiteinrichtungen
Bevorzugung von Tunnellösungen statt großräumiger Umgehungen von Ortschaften
Verzicht auf Oberbodenauftrag und Gehölzpflanzung beim Straßenbau, stattdessen Belassen des offenen Mutterbodens
Durchführung sinnvoller Ausgleichsmaßnahmen für Eingriffe in Natur und Landschaft (z. B. Öffnung und Wiederbewirtschaftung brachgefallener Extensivstandorte; Gehölzpflanzung nur in begründeten Ausnahmefällen)
7. Weitere Gefährdungsursachen
Auf übergeordneter Ebene:
Intensivierung der Bejagung von Wildschwein und Rotfuchs zum Schutz von Bodenbrütern, Reptilien usw.
keine Tabuisierung der Bejagung von Raben- und Krähenvögeln zum Schutz anderer Vogelarten, Reptilien usw.
Auf Umsetzungsebene:
Einschränkung des Nassabbaus und der Verfüllung von Kiesgruben und Steinbrüchen, stattdessen Offenhaltung mittels vergleichbarer Nutzungen oder Beweidung
Regelmäßige Neuschaffung flacher, voll besonnter und teilweise temporärer Gewässer
Aufklärung der Bevölkerung über notwendige und sinnvolle Natur- und Artenschutzmaßnahmen durch deutliche Intensivierung der Öffentlichkeitsarbeit
Beschränkung stark emittierender Beleuchtungen z. B. von Kirchen oder Industriegebäuden, vor allem im Außenbereich
Berücksichtigung des Artenschutzes bei klimafreundlicher Sanierung oder Neubau von Gebäuden
Bewirtschaftung gut besonnter, strukturreicher Gärten und Wochenendgrundstücke durch artenreiche Vegetation und Anlage von Trockenmauern
Erhaltung und Neubau von Trockenmauern in (ehemaligen) Weinbergen