Emys orbicularis (Europäische Sumpfschildkröte) (Linnaeus, 1758)
Verbreitung in Deutschland: Der aktuelle Wissensstand über die Besiedlungshistorie von Emys orbicularis in Mitteleuropa belegt autochthone Vorkommen der Art in Ostdeutschland östlich der Elbe in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Bei allen anderen Populationen (auch bei den baden-württembergischen), z. B. in Hessen, ist ein autochthoner Ursprung in der Diskussion und bleibt zumindest zweifelhaft (Fritz & Laufer 2007). In Ostdeutschland ist die Europäische Sumpfschildkröte in der Uckermark, im Fürstenberger Kleinseengebiet, in der Märkischen Schweiz und an der Alten Oder verbreitet (Online). Bundesweit gilt E. orbicularis als vom Aussterben bedroht (Kühnel et al. 2009).
Verbreitung in Baden-Württemberg: Nachweise der Sumpfschildkröte liegen in Baden-Württemberg vor allem aus dem Oberrheingebiet, von den Kocher-Jagst-Ebenen, aus dem Albvorland und aus Oberschwaben vor. Morphologische und genetische Untersuchungen belegen jedoch, dass aktuelle Vorkommen außerhalb Oberschwabens alle allochthonen Ursprungs sind und auf ausgesetzte Tiere zurückgehen. In vielen dieser Fälle kann auch keine Reproduktion nachgewiesen werden und die Vorkommen bestehen häufig nur aus wenigen Einzelexemplaren. Anders gestaltet sich die Situation in Oberschwaben. Hier reichen die Funde von Sumpfschildkröten-Panzern weit zurück und belegen zumindest ein ehemaliges Vorkommen. Jedoch besteht auch die Möglichkeit, dass die Tiere zu Nahrungszwecken aus Südeuropa importiert wurden. Wahrscheinlicher ist jedenfalls, dass E. orbicularis in Oberschwaben, ausgehend vom Bodenseegebiet, und wahrscheinlich auch in der Oberrheinebene früher autochthon vorkam. Heute besteht dieser Verdacht noch bei einer im Pfrunger-Burgweiler Ried lebenden Population der Art, während sie im Federseeried ausgestorben ist (Fritz & Laufer 2007). Allerdings gibt es auch in diesem letzten Fundgebiet mit zumindest unregelmäßiger Reproduktion Hinweise darauf, dass Tiere erstmals in den 1970er-Jahren (und in den Jahrzehnten darauf) ausgesetzt wurden. Dagegen fehlen Belege für ein früheres Vorkommen im Gebiet. Die im Pfrunger-Burgweiler Ried vorkommenden Exemplare wurden im Jahr 2020 genetisch auf ihre Herkunft hin untersucht: Es handelt sich um einen Mix aus verschiedenen Genotypen aus Süd- und Osteuropa sowie zu einem geringen Prozentsatz um den autochthonen Haplotyp IIa. Dies ist kein Beleg für ein autochthones Vorkommen, denn es könnte genauso gut auch diese passende Unterart im Gebiet ausgesetzt worden sein. Genauso wenig ist allerdings ein Vorhandensein der südeuropäischen Genotypen ein Beleg für ein allochthones Vorkommen, denn durch die Handelsaktivitäten der Mönche im Mittelalter wurden bereits zu dieser Zeit Genotypen und Unterarten der Europäischen Sumpfschildkröte bunt vermischt. Neben dem Vorkommen im Pfrunger-Burgweiler Ried existieren außerdem einige aktuelle Einzelnachweise, beispielsweise aus dem Steinacher Ried, aus dem Langenauer Ried oder aus dem Altdorfer Wald, deren Historie und Genetik noch weitgehend unbekannt sind.
Habitatansprüche: E. orbicularis besiedelte früher wahrscheinlich primär stark verkrautete, besonnte, stehende oder leicht fließende Gewässer. Dies können unterschiedliche Teiche und Weiher, aber auch Gräben und Altarme etwa des Rheins sein. Wichtig sind eine krautreiche Unterwasservegetation und besonnte Ufer-Sitzplätze. Die Gewässer im Pfrunger-Burgweiler Ried liegen vornehmlich im Bruch- bzw. Moorwald und sind teilbesonnt (Fritz & Laufer 2007). Zur Eiablage wird kiesig-sandiges Substrat bevorzugt, das natürlicherweise in den Moorgebieten Oberschwabens nicht vorhanden ist. Erst mit dem Torfabbau und der Erschließung der Moorgebiete über Wege wurden diese Substrate in viele Moorgebiete, darunter auch in diejenigen mit aktuellen Nachweisen, eingebracht. Allerdings existieren in den Randbereichen der Moore im Übergang zu mineralischen Böden geeignete Voraussetzungen für die Eiablage. Ob die großen oberschwäbischen Moorkomplexe tatsächlich ursprüngliche Lebensräume der Europäischen Sumpfschildkröte waren, lässt sich im Nachhinein nicht mehr klären. Besser geeignet scheinen jedenfalls große Flusslandschaften und von Gräben und Stillgewässern durchzogene Niedermoorbereiche.
Gefährdung/Schutz: RL BW: Vom Aussterben bedroht (Laufer & Waitzmann 2022). So es denn noch autochthone Populationen der Sumpfschildkröte in Baden-Württemberg gibt, sind diese vom Aussterben bedroht. In früherer Zeit wurden Sumpfschildkröten zu Nahrungszwecken gefangen und dadurch in Mitteleuropa wahrscheinlich weitgehend ausgerottet. Die Vorkommen im Pfrunger-Burgweiler Ried sind durch touristische Beeinträchtigungen, Straßenverkehr, Angelsport (Prädation durch große Welse und Hechte), Nesträuber (Dachs, Fuchs, Waschbär, Raben- und Krähenvögel), Mangel an Eiablageplätzen und Sukzession an den Gewässern (Verschattung) gefährdet. Zum Schutz der Art müssen die Gewässer offen und besonnt erhalten werden, die Touristen-Ströme sollten möglichst um das Kerngebiet herum geleitet werden. Die Anlage von Eiablageplätzen, die Beweidung der Lebensräume inklusive der Gewässerufer sowie eine intensive Bejagung der Prädatoren wären notwendig, sollten sich die Vorkommen im Pfrunger-Burgweiler Ried tatsächlich noch als autochthon herausstellen. E. orbicularis genießt europäischen Schutz durch Listung in den Anhängen II und IV der FFH-Richtlinie. Das Land Baden-Württemberg ist in besonders hohem Maße für die Erhaltung isolierter Vorposten der Europäischen Sumpfschildkröte verantwortlich.
Eignung als Indikatorart: E. orbicularis kann als Indikator für krautreiche, besonnte Weiher und Altarme in naturnahe Umgebung gelten.
Bestimmung: Als einzige heimische Schildkrötenart ist die Europäische Sumpfschildkröte nur mit allochthonen Wasserschildkrötenarten wie Gelb- und Rotwangenschildkröte (Trachemys scripta scripta, T. s. elegans) oder Höckerschildkröten der Gattung Graptemys zu verwechseln. Im Gegensatz zu diesen verfügt E. orbicularis über eine auffällige, feine gelbe Sprenkelung des Körpers.
Quellen für diese Seite:
Firtz, K. & H. Laufer (2007): Europäische Sumpfschildkröte - Emys orbicularis (Linnaeus, 1758). In: Laufer, H.; Fritz, K. & P. Sowig (Hrsg.): Die Reptilien und Amphibien Baden-Württembergs. Ulmer Verlag (Stuttgart), 511-536.
Kühnel, K.-D.; Geiger, A.; Laufer, H.; Podloucky, R. & M. Schlüpmann (2009): Rote Liste und Gesamtartenliste der Lurche (Amphibia) und Kriechtiere (Reptilia) Deutschlands [Stand Dezember 2008]. In: Haupt, H.; Ludwig, G.; Gruttke, H.; Binot-Hafke, M.; Otto, C. & A. Pauly (Red.) (2009): Rote Liste gefährdeter Tiere, Pflanzen und Pilze Deutschlands. Band 1: Wirbeltiere. Bundesamt für Naturschutz: Naturschutz und biologische Vielfalt 70 (1).
Laufer, H. & M. Waitzmann (2020): Rote Liste und kommentiertes Verzeichnis der Amphibien und Reptilien Baden-Württembergs. 4. Fassung. Stand 31.12.2020. - Naturschutz-Praxis Artenschutz 16.
Recht bunt gefärbtes Exemplar der Europäischen Sumpfschildkröte (Emys orbicularis) aus dem einzigen noch aktuellen Fundgebiet mit potentiell autochthonen Vorkommen, Mai 2015.
Ausgesetztes Exemplar von Emys orbicularis im Albvorland (NSG Schaichtal), Juni 2008.
Habitat der Europäischen Sumpfschildkröte in Oberschwaben (NSG Pfrunger Ried), Gewässerkomplexe mit strukturreichen, besonnten Ufern.
Schematische Verbreitung von E. orbicularis in Baden-Württemberg:
Dunkelblauer Bereich: Belegte Vorkommen
Grauer Bereich: Ehemalige Vorkommen
Schwarze Punkte: Eigene Nachweise Stand 2020
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