Coenonympha hero (Wald-Wiesenvögelchen) (Linnaeus, 1760)
Verbreitung in Deutschland: Aktuell kommt Coenonympha hero nur noch in Bayern und Baden-Württemberg vor. In Sachsen-Anhalt, Sachsen, Thüringen, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Hessen und im Saarland ist die Art bereits ausgestorben (Drews 2003). In Bayern ist C. hero stark gefährdet (Settele et al. 2005). Im zentralen Deutschland war das Wald-Wiesenvögelchen ehemals relativ weit verbreitet und erreichte lokal die norddeutsche Tiefebene. Die aktuellen Vorkommen beschränken sich auf den Steigerwald, die Schwäbische und Fränkische Alb, die Schotterplatten des bayerischen Alpenvorlandes, das Voralpine Hügel- und Moorland sowie lokale Einzelvorkommen in Baden-Württemberg (Reinhardt et al. 2020). Bundesweit gilt die Art aktuell als stark gefährdet (Reinhardt & Bolz 2011).
Verbreitung in Baden-Württemberg: Ehemals war das Wald-Wiesenvögelchen in Bereichen des südlichen Oberrheins (NSG Taubergießen), im Kraichgau, in den Keuperwaldbergen, im Albvorland, auf der Ostalb und über weite Teile Oberschwabens verbreitet (Ebert & Rennwald 1991b). Heute existieren nur noch isolierte Restpopulationen im Glemswald (Meier 2005), bei Schwäbisch Hall (ggf. bereits erloschen), auf der Ostalb (Wagner 2008) und in wenigen Naturschutzgebieten im nördlichen Oberschwaben. Im württembergischen Allgäu ist die Art wohl ausgestorben, nachdem die letzten Nachweise (2012) aus dem NSG Wurzacher Ried in den vergangenen Jahren nicht mehr bestätigt werden konnten. Ein Wiederansiedlungsversuch im NSG Taubergießen ist in der Vergangenheit zudem fehlgeschlagen. Im Landkreis Böblingen (Naturraum Schönbuch und Glemswald) hat sich die Anzahl der Vorkommen seit den 1990er-Jahren von sechs auf ein letztes reduziert (Hermann 2021).
Habitatansprüche: C. hero besiedelt grasreiche, meist feuchtere Freiflächen innerhalb von Wäldern (Schönbuch, Keuperwaldberge, Ostalb), Nieder-, Mittel- und Hudewälder (Oberrheinebene) sowie Streu- und Feuchtwiesenbrachen mit einzelnen Gebüschen und Faulbaum-Aufwuchs (Oberschwaben). Als Larvalhabitate dienen gut besonnte Fazies eher gering produktiver und lückig stehender Gräser. Dies gewährleistet, dass das Sonnenlicht bis zur Basis der Gräserhorste einfällt und sich die Larven im feucht-warmen Mikroklima aufhalten und -wärmen können (Titsaar et al. 2016, Hermann 2021). Hier frisst die Raupe an Poaceae und Cyperaceae (Ebert & Rennwald 1991b). Im Naturraum Schönbuch und Glemswald kommt der Zittergrassegge (Carex brizoides) eine besondere Rolle als Raupennahrungspflanze zu (Hermann 2021).
Gefährdung/Schutz: RL BW: Vom Aussterben bedroht (Ebert et al. 2005). Das Wald-Wiesenvögelchen ist unmittelbar vom Aussterben bedroht, da seine Habitate immer seltener werden. In Zeiten der Hochwaldnutzung ("naturnaher Waldbau") entstehen keine neuen frühen Sukzessionsstadien innerhalb der Wälder mehr, Freiflächen, Brennen und Sturmwurfflächen wachsen zu, Saumbereiche werden immer strukturärmer. Darüber hinaus sind die oberschwäbischen Bestände einerseits durch Verschilfung der Feuchtwiesen, andererseits jedoch auch durch zu regelmäßige Mahd der Streuwiesen gefährdet, da die Art einen leichten Brachecharakter benötigt. Atmosphärische Nährstoffeinträge verschlechtern die Situation im Larvalhabitat zusätzlich, da C. hero auf nährstoffarme und lichte Bestände angewiesen ist. Warum die ehemals in den oberschwäbischen Niedermooren weiter verbreitete Art ähnlich wie das Große Wiesenvögelchen (Coenonympha tullia) und das Rotbraune Wiesenvögelchen (Coenonympha glycerion) hier fast vollständig erloschen ist, ist weiterhin unklar. Im NSG Wurzacher Ried war hierfür wohl eine Kombination aus Nutzungsauflassung und zu starker Vernässung durch anthropogene Maßnahmen und Biberaktivitäten ursächlich. Das Management der letzten Habitate dieser Art benötigt deshalb eine sehr sensible und exakt auf sie abgestimmte Pflege (G. Hermann, mündl.). In Waldhabitaten ist diese am besten mit einem größer angelegten, rotierenden System von Kahlhieben im räumlichen Verbund zu gewährleisten. Wichtig ist hierbei das Schwachholz und den Abraum aus den Flächen zu entfernen, um Nährstoffeinträge zu vermeiden und das Aufwachsen einer gering produktiven Vegetation zu ermöglichen. In Offenlandhabitaten muss ein Gleichgewicht zwischen über Mahd und Gehölzpflege offen gehaltenen Flächen und einem leichten Brachecharakter durch rotierende, mehrjährige Mahd erreicht werden. Aufgrund der wenigen noch existenten Populationen der Art in Deutschland besitzt das Land Baden-Württemberg eine besondere Schutzverantwortung für C. hero. Sie wird außerdem im Anhang IV der FFH-Richtlinie geführt (Drews 2003).
Eignung als Indikatorart: C. hero ist ein sehr guter Indikator für lichte, strukturreiche Wälder, traditionelle Waldbewirtschaftungsformen und extensiv genutzte Streuwiesen.
Bestimmung: Die Augenflecken auf der Hinterflügel-Unterseite sind beim Wald-Wiesenvögelchen deutlich größer und ausgeprägter als bei den anderen Coenonympha-Arten.
Quellen für diese Seite:
Drews, M. (2003): Coenonympha hero (Linnaeus, 1761). – In: Petersen, B., Ellwanger, G., Biewald, G., Hauke, U., Ludwig, G., Pretscher, P., Schröder, E. & Ssymank, A. (2003): Das europäische Schutzgebietsystem Natura 2000. Ökologie und Verbreitung von Arten der FFH-Richtlinie in Deutschland. Band 1: Pflanzen und Wirbellose. – Bonn (Bundesamt für Naturschutz). – Schriftenreihe für Landschaftspflege und Naturschutz 69 /1: 450-454 S.
Ebert, G. & E. Rennwald (Hrsg.) (1991b): Die Schmetterlinge Baden-Württembergs. Band 2, Tagfalter 2. Ulmer-Verlag (Stuttgart), 535 S.
Ebert, G., Hofmann, A., Meineke, J.-U., Steiner, A., R. trusch (2005): Rote Liste der Schmetterlinge (Macrolepidoptera) Baden-Württembergs (3. Fassung). In: Ebert, G. (Hrsg.): Die Schmetterlinge Baden-Württembergs. Band 10, Ergänzungsband. Ulmer-Verlag (Stuttgart), 110-133.
Hermann, G. (2021): Schaden Kahlschläge und andere "Desaster" der Biodiversität im Wald? Erkenntnisse aus umfangreichen Daten zur Tagfalter- und Widderchenfauna aus zwei Naturräumen. - Artenschutz und Biodiversität 2 (3): 1-46.
Meier, M. (2005): Wald-Wiesenvögelchen (Coenonympha hero). In: Ebert, G. (Hrsg.): Die Schmetterlinge Baden-Württembergs. Band 10, Ergänzungsband. Ulmer-Verlag (Stuttgart), 101-103.
Reinhardt, R. & R. Bolz (2011): Rote Liste und Gesamtartenliste der Tagfalter (Rhopalocera) (Lepidoptera: Papilionoidea et Hesperioidea) Deutschlands. In: Bundesamt für Naturschutz (Hrsg.): Rote Liste gefährdeter Tiere, Pflanzen und Pilze Deutschlands - Band 3: Wirbellose Tiere (Teil 1). - Naturschutz und Biologische Vielfalt 70 (3), 167-194.
Reinhardt R., Harpke A., Caspari, S., Dolek, M., Kühn, E., Musche, M., Trusch, R., Wiemers, M. & J. Settele (Hrsg.) (2020): Verbreitungsatlas der Tagfalter und Widderchen Deutschlands. - Ulmer Verlag (Stuttgart), 428 S.
Settele, J., Steiner, R., Reinhardt, R. & R. Feldmann (2005): Schmetterlinge - Die Tagfalter Deutschlands. Ulmer Verlag (Stuttgart), 256 S.
Titsaar, A., Kaasik, A., Lindmann, L., Stanevits, T. & T. Tammaru (2016): Host associations of Coenonympha hero (Lepidoptera: Nymphalidae) in northern Europe: microhabitat rather than plant species. - Journal of Insect Conservation 20 (2): 265-275.
Wagner, W. (2008): Neue Erkenntnisse zur Schmetterlings- und Heuschreckenfauna der Ostalb (Lepidoptera, Ensifera et Caelifera). - Carolinea 66, 105-134.
Ein Wald-Wiesenvögelchen (Coenonympha hero) an einem Faulbaum ruhend in einer Streuwiesenbrache in Oberschwaben (Baltringen), Juni 2010.
Weibchen das Wald-Wiesenvögelchens aus Oberschwaben (Seekirch), Juni 2013.
Weitere C. hero aus Oberschwaben (Baltringen), Juni 2010.
Männliches Wald-Wiesenvögelchen aus dem Schönbuch, Mai 2011.
Männchen von C. hero im Schönbuch, Mai 2011.
Habitat von C. hero in Oberschwaben (Baltringen): Streu- und Nasswiesen mit angrenzenden Gebüschsäumen.
Weiteres Habitat aus Oberschwaben (Seekirch), höherwüchsige Streuwiesenbrachen im Übergangsbereich zu Gebüschsäumen.
Großflächige und magere Streuwiesenbrachen im nördlichen Oberschwaben (NSG Federsee) bilden eines der baden-württembergischen Kernhabitate des Wald-Wiesenvögelchens.
Habitat von C. hero im Albvorland (Schönbuch): Feuchte, offene Laubmischwald-Lichtung mit reichlich Gräserunterwuchs.
Weiterer Einblick in die obige Sturmwurffläche im Schönbuch.
Weitere Freifläche im selben Waldgebiet im Schönbuch, auch hier fliegt C. hero.
Von C. hero noch recht schwach besiedelte Freifläche in den Keuperwaldbergen.
Habitat von C. hero auf der Schwäbischen Alb (Nattheim); eine großflächige Sturmwurffläche.
Schematische Verbreitung von C. hero in Baden-Württemberg:
Dunkelblauer Bereich: Belegte Vorkommen
Grauer Bereich: Ehemalige Vorkommen (letztes Nachweisdatum)
Schwarze Punkte: Eigene Nachweise Stand 2022
Hipparchia fagi, Hipparchia semele, Brintesia circe, Chazara briseis, Arethusana arethusa, Coenonympha pamphilus, Coenonympha arcania, Coenonympha glycerion, Coenonympha hero, Coenonympha tullia, Aphantopus hyperantus, Maniola jurtina, Pyronia tithonus, Pararge aegeria, Lasiommata megera, Lasiommata maera, Lasiommata petropolitana, Erebia aethiops, Erebia ligea, Erebia medusa, Erebia meolans, Minois dryas, Melanargia galathea, Lopinga achine